Einblicke von Rechtsanwältin Regina Kardel
Du hast zwei Staatsexamina bezwungen und dir den Weg zum eigenen Kanzleischild freigekämpft. Jetzt steht die nächste Herausforderung für dich an: Die Ausbildung zur Fachanwältin bzw. zum Fachanwalt.
Der folgende Erfahrungsbericht soll dir ein paar Tipps geben, ob die Ausbildung zur bzw. zum Fachanwält:in für dich der richtige Weg ist und, wenn ja, welcher Fachanwaltstitel für dich geeignet ist.
Warum eine eigene Kanzlei gründen?
Für allgemeine Tipps dazu, warum die Gründung einer eigenen Kanzlei für dich der richtige Schritt sein kann und worauf du hierbei allgemein achten solltest, verweise ich auf meine separaten Erfahrungsberichte zur Kanzleigründung – Die Kanzleigründung Teil 1: How to?, Teil 2: Mögliche (Finanzierungs-)Hilfen, Teil 3: Mandantenakquise – und beschränke mich in diesem Erfahrungsbericht maßgeblich auf die Ausbildung zur bzw. zum Fachanwält:in.
Was ist ein Fachanwalt?
Soweit Rechtsanwält:innen auf einem bestimmten Rechtsgebiet besondere Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt haben und diese nachweisen können, kann ihnen der Titel der Fachanwältin bzw. des Fachanwaltes verliehen werden. Die Voraussetzungen hierfür sind in der Fachanwaltsordnung (FAO) geregelt.
Anfang 2020 gab es in Deutschland rund 57.000 Fachanwält:innen. Da auch doppelte Fachanwält:innen in die Statistik eingehen, ist diese noch etwas nach unten zu korrigieren. Gemessen an der Gesamtanzahl der zugelassenen Rechtsanwält:innen von fast 166.000, beträgt die Anzahl der Fachanwält:innen gut ein Drittel.
Insgesamt sind derzeit nach § 1 FAO 24 Fachgebiete der Spezialisierung zugänglich. Diese sind (nach absteigender Attraktivität aufgelistet) die bzw. der Fachanwält:in für
- Arbeitsrecht mit ca. 19%
- Familienrecht mit ca. 17%
- Steuerrecht mit ca. 9 %
- Verkehrsrecht mit ca. 7 %
- Miet- und Wohnrecht mit ca. 7 %
- Strafrecht mit ca. 7 %
- Bau- und Architektenrecht mit ca. 5 %
- Erbrecht mit ca. 4 %
- Sozialrecht mit ca. 3 %
- Handels- und Gesellschaftsrecht mit ca. 3 %
- Medizinrecht mit ca. 3 %
- Insolvenzrecht mit ca. 3 %
- Verwaltungsrecht mit ca. 3 %
- Versicherungsrecht mit ca. 3 %
- Gewerblichen Rechtsschutz mit ca. 2 %
- Bank- und Kapitalmarktrecht mit ca. 2 %
- Informationstechnologierecht mit ca. 1 %
- Urheber- und Medienrecht mit ca. 1 %
- Vergaberecht mit ca. 1 %
- Transport- und Speditionsrecht mit ca. 0,5 %
- Internationales Wirtschaftsrecht mit ca. 0,3 %
- Agrarrecht mit ca. 0,3 %
- Migrationsrecht mit ca. 0,2 %
- Sportrecht mit ca. 0,03 %.
Mit Abstand am attraktivsten sind mithin die Spezialisierungen auf das Arbeits- sowie das Familienrecht.
Warum kann die Spezialisierung sinnvoll sein?
Um auf dem entsprechenden Fachgebiet tätig zu sein, ist der Fachanwaltstitel nicht notwendig. Er zeichnet die Anwält:innen, welche die zeitaufwendige und kostspielige Ausbildung absolviert haben, jedoch für juristische Laien als Expert:innen auf ihrem Gebiet aus.
Und auch wenn den Kern der anwaltlichen Tätigkeit die anwaltliche Beratung und Vertretung darstellt, unterscheidet sich die Führung einer Kanzlei lediglich marginal von der anderer Unternehmen: Auch hier müssen Mandant:innen angelockt und durch guten Service möglichst langfristig gebunden werden. Wie bereits obig dargestellt, sind Stand 2020 fast 166.000 Rechtsanwält:innen in Deutschland zugelassen. Entsprechend hart ist der Konkurrenzdruck auf dem juristischen Markt. Und umso mehr hat die oder der potentielle Mandant:in die Qual der Wahl. Mithin kann der Fachanwaltstitel große Vorteile im Rahmen der Mandantenakquise bringen.
Welche Voraussetzungen bringt die Ausbildung zum Fachanwalt mit sich?
Die Ausbildung zur Fachanwältin bzw. zum Fachanwalt ist dual aufgebaut. Nach Absolvierung der folgenden Voraussetzungen kannst du einen Antrag nach § 22 Abs. 2 FAO bei der Rechtsanwaltskammer auf Titelerteilung stellen:
Zunächst ist nach § 4, 4a und 6 FAO ein Nachweis über besondere theoretische Kenntnisse zu erbringen. Regelmäßig kannst du diesen Nachweis durch die Teilnahme an einem Fachanwaltslehrgang z.B. bei der DAI, der DAA oder auch der Fernuniversität Hagen erbringen. Dies ist auch bereits während des Referendariates möglich (falls dich die Vorbereitung auf das Zweite Examen chronisch unterfordert 😉). Für den Kurs fällt regelmäßig eine Arbeitsbelastung von über 100 Stunden Unterricht an, die je nach Kursanbieter als Präsenzveranstaltung oder im Rahmen eines Fernstudiums abzuleisten ist. Hieran schließen noch drei fünfstündige Klausuren an. Da du diesen Zeitaufwand in deinen beruflichen Alltag einbinden und Zeit zum Lernen des Prüfungsstoffs bereitstellen musst, empfiehlt sich eine Teilnahme zumindest zu Beginn deiner anwaltlichen Tätigkeit.
Die Kosten für einen Fachanwaltslehrgang betragen je nach Anbieter ca. 2.000 €. Als Referendar:in oder Junganwält:in kannst du in den Genuss von Rabatten kommen. Mittels eines Bildungsgutscheines kann auch die Agentur für Arbeit die Kosten für einen Fachanwaltslehrgang komplett übernehmen.
Lediglich ausnahmsweise kann von der Teilnahme eines solchen Kurses abgesehen werden, wenn der Nachweis durch anderweitige Zeugnisse oder Bescheinigungen erbracht werden kann.
Hast du den Nachweis erbracht, beginnt der praktische Teil der Ausbildung: Nunmehr musst du nach §§ 3, 5, und 6 Abs. 3 FAO die ordnungsgemäße Bearbeitung einer bestimmten Anzahl von Fällen im entsprechenden Rechtsgebiet nachweisen. Die Anzahl ist hierbei vom gewählten Fachgebiet abhängig und wird am zu erwartenden Aufwand gemessen. Im Strafrecht sind dies z.B. 60 Fälle, wobei 40 Hauptverhandlungstage vor dem Schöffen- oder einem übergeordneten Gericht gefordert werden. Im Familienrecht sind es wiederum 120 Fälle, von denen mindestens 60 gerichtliche Verfahren sein müssen. Diese Fallanzahl musst du in den letzten drei Jahren vor der Antragstellung bei der RAK erworben haben.
Maximal kann ein:e Rechtsanwält:in nach § 43c BRAO drei Fachanwaltstitel führen, muss hierbei aber jährlich gem. § 15 FAO bei der RAK belegen, dass sie bzw. er sich im vorgeschriebenen Umfang fachlich fortgebildet hat. Dies kann sowohl durch Teilnahme an oder auch Veranstaltung von Fortbildungskursen als auch durch Veröffentlichungen auf dem Fachgebiet erfolgen.
Welcher Fachanwaltstitel ist der Richtige für mich?
Spätestens mit der Ausbildung zur Fachanwältin bzw. zum Fachanwalt legst du den Grundstein für deine weitere anwaltliche Tätigkeit. Welche Spezialisierung du wählst, solltest du weder von den zu erwartenden Kosten noch vom Arbeitsaufwand, sondern rein von deinem persönlichen Interesse abhängig machen. Am Anfang der Anwaltstätigkeit ist eine Spezialisierung meist nicht einfach abzusehen, soweit du nicht bereits im Rahmen des Studiums dein Steckenpferd gefunden hast.
Ich selbst probiere mich derzeit noch in verschiedenen Rechtsgebieten, die mich interessieren, aus, bevor ich mich festlege.
Fazit:
Der Erwerb eines Fachanwaltstitels kann dich maßgeblich bei der Kanzleigründung unterstützen, aber auch später noch zur Mandantenakquise sinnvoll sein. Welche Spezialisierung für dich die Richtige ist, hängt maßgeblich von deiner Persönlichkeit, deinen Interessen und deiner (zukünftigen) Lebensplanung ab. Grade wenn du noch wenig Erfahrung im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit sammeln konntest, solltest du dich zunächst in den möglichen Rechtsgebieten ausprobieren und auch den Austausch mit (erfahreneren) Kolleg:innen nicht aus den Augen verlieren.
Ich hoffe, dieser Erfahrungsbericht gibt dir einige Tipps, die dir die Spezialisierung erleichtern. Ich wünsche dir viel Erfolg für deine Ausbildung zur Fachanwältin oder zum Fachanwalt!