Legal Tech – Die Zukunft für die juristische Arbeit?
Dr. Robert Bauer war im Juni 2021 im Gespräch mit JurCase und stellte sich den Fragen rund um das Thema Legal Tech. Im folgenden Interview werden der Unterschied von Legal Tech und Digital Law, Künstliche Intelligenz im Anwaltsberuf sowie die Herausforderungen und Berufsperspektiven für Juristen im Bereich Legal Tech thematisiert.
Zur Person & zum Unternehmen
Dr. Robert Bauer (36) ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Salary Partner bei Taylor Wessing in Frankfurt am Main. Seit über 20 Jahren programmiert er in seiner Freizeit und ist froh, durch das Aufkommen von Legal Tech nunmehr Hobby und Beruf verbinden zu können.
Taylor Wessing ist eine internationale Anwaltskanzlei, die einen Schwerpunkt auf Bereiche legt „in denen die Meilensteine der Digitalisierung gesetzt werden: Technology, Life Sciences & Healthcare, Energy & Infrastructure und Private Wealth.“
Sie haben sich dem Leitgedanken „Challenge expectation, together“ verpflichtet, um so das Erwartbare zu hinterfragen und über das Naheliegende hinaus zu denken. „So finden wir die besten Lösungen: gemeinsam mit unseren Mandantinnen und Mandanten.“
Das Interview
Klingenberg: Herr Dr. Bauer, vielen Dank zunächst, dass Sie sich zu diesem Interview bereit erklärt haben. Es soll hierbei um ‚Legal Tech‘ gehen. Zunächst einmal, was genau ist unter ‚Legal Tech‘ zu verstehen und inwieweit grenzt es sich vom ‚Digital Law‘ ab?
Dr. Robert Bauer: Unter ‚Digital Law‘ versteht man im Allgemeinen die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von Technology. ‚Legal Tech‘ sind hingegen technische Lösungen für Juristen. ‚Digital Law‘ verhält sich dabei zu ‚Legal Tech‘ wie Familienrecht zu Verheiratet-Sein. Das eine ist ein Rechtsbereich, in dem man als Anwalt rechtliche Fragen von Mandanten beantworten kann, das andere betrifft mich (als Anwalt) selbst.
Klingenberg: Was bedeutet dies für Sie?
Dr. Robert Bauer: Persönlich verbinde ich Legal Tech vor allem mit Chancen, nicht mit Risiken. Legal Tech erlaubt es uns als Kanzlei, ein hohes Maß an Effizienz zu erlangen und lästige Organisationsaufgaben zu automatisieren. Stellen Sie sich vor, Sie müssen für ein Projekt mit einem Team von 20 Anwälten zweitausend Verträge prüfen und bewerten und Mandanten über den Fortschritt auf dem Laufenden halten. Der „analoge“ Ansatz wäre es, jedem Anwalt einen Stapel von 100 Verträgen in die Hand zu drücken und um tägliche Reports zu bitten. Wenn jeder für den Report pro Tag 30 Minuten aufwendet und die 20 Einzelreports anschließend 2 Stunden lang konsolidiert werden müssen, dann werden bei einer Projektlaufzeit von 4 Wochen allein 240 Stunden mit dem Reporting verbracht. Weder möchten Mandanten das bezahlen, noch wollen Anwälte diese Reports zusammenstellen.
Nimmt man sich hingegen einmal zu Beginn 10-20 Stunden Zeit, um eine angepasste Softwarelösung für das Projekt zu entwickeln, so kann die Vertragsprüfung direkt im Tool vorgenommen werden und Reports lassen sich auf Knopfdruck generieren. Das spart den Anwälten Nerven, Mandanten Kosten. Ein solches Tool ist nahezu beliebig skalierbar. Wenn am nächsten Projekt also nicht 20, sondern 200 Anwälte beteiligt sind, erhöht sich der Aufwand nicht. Das ist ein einfaches, aber realistisches Beispiel, wie der Einsatz einfacher Software einen unmittelbaren und messbaren Vorteil für alle Beteiligten liefern kann.
Klingenberg: Während Legal Technology 1.0, also die juristische Software, weiterhin einen Boom zu verzeichnen hat, scheint der Hype um Legal Technology 2.0, also automatisierte Rechtsdienstleistungen, und vor allem um Legal Technology 3.0, also smart contracts und künstliche Intelligenz, abgeflacht zu sein. Wie ist Ihre Einschätzung? Ist der Hype vorbei?
Dr. Robert Bauer: Tatsächlich glaube ich, dass auch mittel- bis langfristig die Zukunft in „Legal Tech 1.0“ liegt. Das liegt aus meiner Sicht vor allem an zwei Gründen:
Einerseits besteht Jura nur zu einem sehr geringen Teil aus der simplen Anwendung eindeutiger rechtlicher Regelungen. Nicht umsonst ist die Lieblingsantwort von Juristen „Es kommt darauf an“. Außerdem wird es für Anwälte erst dann richtig spannend, wenn die Rechtslage auf den ersten Blick den Interessen der eigenen Mandanten widerspricht. Die Suche im Sachverhalt nach Anknüpfungspunkten für eine eigenständige Argumentation und die Rechtsfortbildung anlässlich neuartiger Situationen lässt sich nicht automatisieren.
Der zweite Grund sind unrealistische Vorstellungen davon, was eine KI leisten kann und wie sie funktioniert. Zwar ist es richtig, dass es beeindruckende Fortschritte im Bereich der KI-Forschung gibt. Allerdings ist es einer KI immanent, dass sie zunächst angelernt werden muss. Und von der Qualität der Anlernphase hängt die mögliche Qualität der Ergebnisse ab. Und hinsichtlich des Anlernens gilt: Viel hilft viel. Vielleicht haben Sie von GPT-3 gehört, der KI, die täuschend echte Texte erstellen kann. Zum Lernen wurden der KI hunderte Milliarden von klassifizierten Datensätzen vorgesetzt. Wie viele Daten notwendig sind, hängt von der Komplexität der zu leistenden Aufgabe ab. Für brauchbare Ergebnisse liegt die notwendige Trainingsdatenmenge aber regelmäßig im Bereich der Tausender, auch wenn das Marketing hier oft etwas Anderes verspricht – ein Patentrezept für enttäuschte Nutzer. Und wenn es eine Rechtsprechungsänderung gibt, muss die Anlernphase mit neuen Daten wieder von vorne beginnen. Dazu kommt noch, dass es bei einer fertig angelernten KI nicht mehr nachvollziehbar ist, wie die KI zu ihren Ergebnissen kommt. Demnach kann auch nicht vorhergesagt werden, wie die KI mit unbekannten Daten umgehen wird. Für juristische Aufgabenstellungen und insbesondere für automatisierte Rechtsberatung ist das ein No-go.
Bitte verstehen Sie mich aber nicht falsch: das bedeutet nicht, dass Legal-Tech nicht eine große Zukunft haben wird. KI wird in dieser Zukunft nach meiner Einschätzung aber keine Hauptrolle spielen. Schlimm ist das nicht. Vergleichbar ist das mit einem Kind, das Magier werden möchte und dann feststellt, dass es in unserer Welt keine Magie gibt. Aber David Copperfield und Co beweisen, dass auch ohne Magie beeindruckende Zaubertricks möglich sind. Auch ohne KI lassen sich beeindruckende technische Lösungen für juristische Probleme erschaffen.
Die enttäuschten Erfahrungen mit KI führen nach meiner Einschätzung zu der gefühlten Abflachung der Hype-Kurve. Diese Abflachung ist aber notwendig, damit anschließend mit vernünftigen Erwartungen tatsächlich zukunftsweisende Produkte geschaffen werden können.
Klingenberg: Wie wirken sich diese Entwicklungen auf den juristischen Arbeitsmarkt aus? Welche Berufsperspektiven gibt es für Juristen bereits im Bereich Legal Tech? Wird es in Zukunft neue Berufsfelder geben?
Dr. Robert Bauer: Ich gehe davon aus, dass zukünftig mehr und mehr Kanzleien eigene Programmierer beschäftigen werden, die bei Bedarf kurzfristig maßgeschneiderte Tools für Großprojekte erstellen. Juristische Kenntnisse solcher Programmierer erleichtern dabei die Zusammenarbeit erheblich. Und natürlich wird es auch weiterhin Startups im juristischen Bereich geben, die mit kreativen Ideen die Grenze des technisch Möglichen und juristisch Zulässigen ausnutzen und verschieben werden.
Eine Gefahr für den Anwaltsberuf sehe ich jedoch nicht. Automatisieren kann man nur bekannte Situationen. Die Lösungen für neue und unbekannte Situationen werden immer nur Menschen finden können.
Klingenberg: Was sind aktuell die größten Herausforderungen im Bereich Legal Tech?
Dr. Robert Bauer: Auf einer abstrakten Ebene ist es aus meiner Sicht eine große Herausforderung für die Branche, tatsächlich umsetzbare Konzepte, reine Marketing-Versprechen und Science-Fiction Vorstellungen voneinander unterscheiden zu lernen. Das ist die Phase, die auf die erste Ernüchterung nach dem großen Hype folgt.
Wenn es darum geht, konkrete Tools zu erstellen, die direkt mit den Mandanten interagieren und diese beraten sollen, sind das Berufsrecht und die notwendige Berufshaftpflichtversicherung potentielle Probleme. Und natürlich legt auch der Datenschutz der Umsetzung so mancher Idee ein paar Hürden in den Weg, die sich aber in aller Regel beseitigen lassen.
Klingenberg: Wenden wir uns einmal kurz dem Datenschutz zu: Welche Rolle spielt dieser bei Legal Tech und kann er mit Blick auf Cyber Crime, also Angriffen von Hackern und Co, gewahrt werden? Inwieweit sollte hier auch das Haftungsrecht angepasst bzw. reguliert werden?
Dr. Robert Bauer: Datenschutz und der Schutz vor Hackern sind natürlich wichtige Themen, aber die Themen sind weder neu noch Legal Tech spezifisch. Hier sehe ich weder ein größeres Risiko, noch eine höhere Sensibilität als beispielsweise beim Onlinebanking. Zudem dürfte auch jetzt schon nahezu jede Rechtsanwaltskanzlei mandatsbezogene Daten auf IT-Systemen speichern. Der Schutz dieser Daten ist also auch jetzt schon zu beachten. Der Siegeszug von Legal Tech wird mit Sicherheit nicht an der Angst scheitern, mandatsbezogene Daten digital zu verarbeiten.
Klingenberg: Taylor Wessing bildet Rechtsreferendare in deren Anwalts- bzw. Wahlstation aus. Inwieweit machen Sie junge Juristen mit Legal Tech vertraut?
Dr. Robert Bauer: Seit Jahren frage ich jeden Bewerber, mit dem ich zu tun habe, ob sie oder er sich als „technikaffin“ bezeichnen würde. Leider gibt es zwischen Juristen und technikbegeisterten Personen, die idealerweise auch noch programmieren können, (noch) keine sehr große Schnittmenge. Auch wenn wir keine wirkliche Ausbildung im Bereich Legal-Tech bieten können, ist es mir wichtig, den Nachwuchsjuristen eine gewisse Affinität diesen Themen gegenüber mit auf den Weg zu geben. Bei mir rennt jeder, der Interesse hat ein Legal Tech-Tool umzusetzen, offene Türen ein. Es ist wichtig, den jungen Juristen einen guten Einblick zu zeigen, welche Potentiale Legal Tech in der Praxis hat.
Wenn es um den Bereich Digital Law geht, sind wir sehr gut aufgestellt. Die Rechtsberatung im Tech-Bereich ist einer unserer großen Schwerpunkte und mit der Digital Legal Academy haben wir aktuell eine Veranstaltungsreihe zu einer Vielzahl von Themen aus diesem Bereich aufgesetzt, die sehr gut angenommen wird.
Klingenberg: Möchten Sie unseren Lesern abschließend noch etwas auf den Weg geben?
Dr. Robert Bauer: Nutzen Sie Ihren PC nicht nur als Schreibmaschine, er kann so viel mehr!
Vielen Dank für das Interview!