Referendar:innen aufgepasst: Das kollektive Arbeitsrecht in der anwaltlichen Praxis – Arbeit mit Betriebsräten, Restrukturierung von Unternehmen u.v.m
In diesem Interview stellt sich Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Dr. Ulrike Conradi, Managing Partnerin bei Ogletree Deakins, den Fragen unseres Redaktionsleiters, Rechtsassessor Sebastian M. Klingenberg. Hier erhältst du tiefgreifende Einblicke in die Tätigkeitsschwerpunkte des Rechtsgebietes „kollektives Arbeitsrecht“. Worum geht es konkret? Wie arbeitet man z.B. mit den Betriebsräten zusammen? Ein Sachverhalt ist beispielsweise auch die Restrukturierung von Unternehmen. Was spielt hier alles mit hinein? Welche Möglichkeiten für Rechtsreferendare gibt es bei Ogletree Deakins? Das und vieles mehr erfährst du in diesem Interview.
Zur Person
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Conradi absolvierte ihr Studium in Freiburg und Grenoble (Frankreich) und promovierte an der Universität Leipzig. Nach dem Referendariat in Berlin war sie zunächst in einer internationalen Wirtschaftskanzlei im Arbeitsrecht tätig und ist 2015 zu Ogletree Deakins gewechselt. Dort bin ist Rechtsanwältin Dr. Conradi seit 2019 als Managing Partnerin des Berliner Büros tätig.
Zum Unternehmen
Ogletree Deakins ist eine internationale, ausschließlich auf das Arbeitsrecht spezialisierte, Anwaltskanzlei mit weltweit 53 Standorten und rund 900 Berufsträgern. Sie berät Arbeitgeber in allen individualrechtlichen und kollektivrechtlichen Angelegenheiten, vertritt diese in Verhandlungen mit Betriebsräten oder Gewerkschaften und führt für ihre Mandanten auch arbeitsrechtliche Streitigkeiten.
Das Interview
Klingenberg: Liebe Frau Dr. Conradi, vielen Dank zunächst, dass Sie sich zu diesem Interview bereit erklärt haben. Sie sind Fachanwältin für Arbeitsrecht und hauptsächlich für das kollektive Arbeitsrecht zuständig. Ich möchte diesen Fachbereich mit diesem Interview etwas vorstellen, auch hinsichtlich aktueller Entwicklungen und Fragen, die nicht nur für die anwaltliche Praxis, sondern auch für die Staatsexamina relevant sein könnten. Zum Einstieg jedoch zunächst eine grundsätzliche Frage: Worum geht es konkret bei dem kollektiven Arbeitsrecht?
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Conradi: Im kollektiven Arbeitsrecht geht es vereinfacht um die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern, d.h. Betriebsräten, Gewerkschaften und Sprecherausschüssen der leitenden Angestellten.
Klingenberg: Wann sind Sie erstmalig mit dem kollektiven Arbeitsrecht in Berührung gekommen und was hat Sie so daran fasziniert?
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Conradi: Erstmalig bin ich mit dem kollektiven Arbeitsrecht im Rahmen eines Praktikums in einem Unternehmen in Berührung gekommen, wo ich einzelne kollektivrechtliche Fragen zu prüfen hatte. Zudem hatte ich kollektives Arbeitsrecht als Wahlfach für das Erste Staatsexamen gewählt. In der Tiefe habe ich mich dann erst im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit mit dem kollektiven Arbeitsrecht befasst.
Klingenberg: Mit welchen Anliegen kommen Ihre Mandanten in aller Regel zu Ihnen?
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Conradi: Im kollektiven Arbeitsrecht kommen unsere Mandanten mit sehr unterschiedlichen Angelegenheiten zu uns. Zum einen geht es oftmals darum, ob bestimmte Themen, beispielsweise die Einführung einer neuen Software, eines Bonusplanes oder gerade aktuell die Überprüfung der 3G Zertifikate der Mitbestimmung des Betriebsrats (d.h. dessen Zustimmung ist für die Einführung erforderlich) unterliegen. Darüber hinaus beraten wir sehr viel im Zusammenhang mit Restrukturierungsmaßnahmen. Wenn beispielsweise ein größerer Betrieb mit Betriebsrat stillgelegt werden soll, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht nur umfassend unterrichten, sondern auch versuchen, mit diesem im Rahmen eines sog. Interessenausgleichs eine Einigung über die Maßnahme und deren Umsetzung zu erzielen. Darüber hinaus hat der Arbeitgeber ggf. Konsultationen über eine Massenentlassung zu führen und schließlich einen Sozialplan zu verhandeln, der einen Nachteilsausgleich für betroffene Arbeitnehmer, z.B. Abfindungen, vorsieht.
Klingenberg: Was sind für Sie die aktuell spannendsten und vielleicht demensprechend außergewöhnlichste Sachverhalte und Fragen, mit denen Sie sich tagtäglich auseinandersetzen?
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Conradi: Manchmal geht es um außergewöhnliche Sachverhalte, wie etwa die Frage, ob das zukünftige Untersagen des Mitbringens von Hunden an den Arbeitsplatz der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Mit am spannendsten finde ich komplexe Restrukturierungsmaßnahmen, die eine Vielzahl, oftmals durch die Rechtsprechung bislang ungeklärter, juristischer Fragen aufwerfen und Kreativität sowie Verhandlungsgeschick erfordern. Diese werden dann im Nachgang manchmal auch der Überprüfung der Gerichte, bis hin zum Bundesarbeitsgericht, unterzogen.
Klingenberg: Das Arbeitsrecht spielt in der juristischen Ausbildung – mit Ausnahme vom Schwerpunktstudium – kaum bzw. eine weitestgehend untergeordnete Rolle. Dies gilt umso mehr für das kollektive Arbeitsrecht. Fällt Ihnen dennoch ein Sachverhalt aus Ihrer täglichen Praxis ein, der eine Examensrelevanz haben könnte, etwa im Bereich Kündigung oder Betriebsverfassungsrecht?
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Conradi: Bei Kündigungen in Betrieben mit einem Betriebsrat muss der Betriebsrat vor jeder Kündigung nach § 102 BetrVG angehört werden. Das gilt selbst dann, wenn es sich um eine Probezeitkündigung handelt oder auf den Betrieb das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet.
Klingenberg: Ein Themengebiet innerhalb des Arbeitsrechts, mit dem Sie sich ausgiebig auseinandersetzen, ist die Umstrukturierung von Unternehmen. Für wie wichtig erachten Sie insoweit Vorkenntnisse in Sachen Betriebswirtschaftslehre (BWL) im Rahmen Ihrer Tätigkeit? Sollten interessierten Jungjuristen bereits im Studium BWL-Kurse besuchen, oder genügt das Lernen in der Praxis am konkreten Sachverhalt?
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Conradi: Es ist nach meiner Einschätzung nicht zwingend erforderlich, dass BWL-Kurse im Rahmen des Studiums besucht werden. Aber sicherlich sind wirtschaftliche Grundkenntnisse ebenso hilfreich wie der sichere Umgang mit bestimmten Programmen, wie z.B. Excel. Zudem sollte Anwält*innen im Arbeitsrecht auch bereit sein, sich in wirtschaftliche Fragestellungen einzulesen und in der Lage sein, beispielsweise eine Bilanz zu lesen. Das gilt übrigens nicht nur für Arbeitgebervertreter, sondern auch für Anwälte die Betriebsräte beraten, da auch diese sich mit wirtschaftlichen Fragestellungen befassen müssen.
Im Rahmen jeder Restrukturierung muss ein Anwalt die wirtschaftliche Situation des Betriebs verstehen und Berechnungen anstellen, um beispielsweise Abfindungen oder das Gesamtbudget für einen Sozialplan berechnen zu können.
Klingenberg: Was meinen Sie ist die wichtigste Eigenschaft, neben dem juristischen Wissen (und etwaigen BWL-Kenntnissen), die ein Rechtsanwalt für das kollektive Arbeitsrecht mitbringen sollte? Und warum gerade diese?
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Conradi: Ein Anwalt muss in der Lage sein, strategisch zu denken und taktisch zu handeln. Im Rahmen von Verhandlungen kommt es nicht nur auf juristischen Sachverstand an, sondern wesentlich auch auf Verhandlungsgeschick, um für den Mandanten die bestmögliche Lösung zu erzielen. Taktisches Agieren und Verhandlungsführung kann man sicherlich bis zu einem gewissen Grad auch in der Theorie lernen. Am besten lernt man es jedoch in der Berufspraxis. Taktische Fehler, die einem möglicherweise zu Beginn der Berufskarriere unterlaufen, wird man sicherlich nie wiederholen.
Klingenberg: Ich hoffe, dass unsere Leserinnen und Leser ein gesteigertes Interesse am kollektiven Arbeitsrecht entwickelt haben. Vielleicht möchte der ein oder andere sich auch im Rahmen des juristischen Vorbereitungsdienstes einmal näher mit dieser Thematik auseinandersetzen. Welche Möglichkeiten haben Referendare bei Ihnen?
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Conradi: Wir beschäftigen regelmäßig Referendare und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen. Hierbei sind Vorkenntnisse im Arbeitsrecht nicht zwingend, jedoch sollte die Bereitschaft vorhanden sein, sich in die Materie einzuarbeiten. Unsere Referendare und wissenschaftlichen Mitarbeiter sind mit Rechercheaufgaben zu bestimmten Rechtsfragen beschäftigt, bereiten Mandantenschreiben oder Schriftsätze, Newsletter oder Präsentationen vor. Sie haben die Möglichkeit, Anwält*innen zu Gerichtsterminen zu begleiten.
Klingenberg: Möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern abschließend noch etwas auf den Weg geben?
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Conradi: Aus meiner Sicht ist das Arbeitsrecht eines der spannendsten Rechtsgebiete und die Fälle sind meist sehr lebensnah. Ich möchte jeden Jurastudenten, Referendar oder Berufsanfänger ermutigen, zumindest mal in die Materie reinzuschnuppern.
Vielen Dank für das Interview.