Als ich mich ursprünglich auf meine jetzige Position als Rechtsanwalt bei HFBP Rechtsanwälte & Notar bewarb, wurde ich bereits beim Vorstellungsgespräch gefragt, ob ich mir als Teil meiner Aufgaben im Rahmen des anwaltlichen Tätigkeitsbereichs vorstellen könnte, Teile meiner Zeit mit der juristischen Arbeit für ein gewerbliches Schwesterunternehmen der Kanzlei aufzubringen und die dortigen Problemstellungen, etwaige Vertragsentwürfe und Entwicklungsschritte juristisch zu bearbeiten und zu begleiten. Ich empfand diese Aussicht als spannend, nicht zuletzt, weil ich ohnehin auch überlegt hatte, mich direkt als Unternehmensjurist zu bewerben. Mir persönlich machen klare Strukturen und sichtbares Wachstum Freude. Am Ende eines Arbeitstages ein sichtbares Ergebnis zu haben und eine Entwicklung mitverfolgen zu können, ist leider nicht immer juristischer Alltag.

Einblicke in die Unternehmensgruppe

Unmittelbar nach meiner Anstellung wurde ich zunächst mit den bestehenden Strukturen und dem Aufgabengebiet bekannt gemacht. Das Ausmaß der Aufgabe und auch des Unternehmens bzw. der Unternehmensgruppe selbst ließen sich zu diesem Zeitpunkt erstmals erahnen. Die Unternehmensgruppe analysiert vor allem in ländlichen Regionen, die unter einer ärztlichen Unterversorgung leiden, die medizinische Versorgungssituation vor Ort, also etwa, welche Fachrichtungen vorhanden sind, mit welchem Alter die Fachrichtungen besetzt sind, ob Nachfolger bereitstehen etc. Die Unterversorgung ist dabei meist Resultat des demographischen Wandels sowie der Fokussierung auf Städte und Metropolregionen, gerade unter jüngeren Menschen. Auf dem Land lebt eine im Schnitt ältere Bevölkerung mit großem Bedarf für umfangreiche medizinische Versorgung. Die jüngeren Ärztinnen und Ärzte, die diese Versorgung auch in Zukunft sicherstellen könnten, bevorzugen ihrerseits jedoch überwiegend die Stadt als Lebensmittelpunkt und sind zudem auch weniger oft bereit, sich selbstständig niederzulassen. Ziel der Unternehmensgruppe ist es, dieser Problematik entgegenzutreten, indem man auch in ländlichen Regionen durch moderne Ärztehäuser eine ansprechende Infrastruktur schafft. Auf diese Art und Weise sind junge Ärztinnen und Ärzte eher bereit, sich auf dem Land niederzulassen, zudem hat die Bevölkerung kurze Wege zwischen den verschiedenen Fachrichtungen.

Ärztehäuser gegen die Unterversorgung in ländlichen Regionen

Im Anschluss an die strukturelle Analyse wird darüber entschieden, ob die Errichtung eines modernen Ärztehauses in der betreffenden Region unter Versorgungs- und Wirtschaftsaspekten sinnvoll ist. Zudem ist auch zu klären, ob sich ein geeigneter Standort für das Ärztehaus zu akzeptablen Konditionen finden lässt. An diesem Punkt ist nicht selten ein konstruktiver Austausch mit der entsprechenden Kommune notwendig und wird von diesen Kommunen auch angestrebt. Tatsächlich sind es oft die Kommunen selbst, die auf die Unternehmensgruppe zugehen. Auch die Haltung der vorhandenen Ärztinnen und Ärzte vor Ort und deren Offenheit bezüglich der Errichtung eines Ärztehauses und möglicherweise ihrem eigenen Umzug in das Ärztehaus sind relevant.

Sind im Ergebnis alle Faktoren gegeben, um ein modernes Ärztehaus zu errichten, werden die entsprechenden Grundstücke gekauft und baurechtliche Aspekte vorbereitet. Das Ärztehaus wird üblicherweise innerhalb von zwei Jahren gebaut, zeitgleich vollvermietet und so der Region ein modernes Ärztehaus mit vielen vereinten Fachrichtungen gegeben, in denen die Mieträume speziell für Arztpraxen, aber auch etwa Physiotherapeuten konzipiert sind. Dies ist ein aus meiner Sicht gut durchdachtes und in Anbetracht des demographischen Wandels auch notwendiges Konzept, das eine immer mehr in den Vordergrund tretende Problematik aktiv angeht.

Die juristischen Aufgaben in der Unternehmensgruppe

In diesem Konzept sollte ich, natürlich mit Hilfe von bereits langjährig mit den Strukturen vertrauten Kolleginnen und Kollegen, die gesellschaftsrechtlichen Aspekte betreuen. Der zweite große Aspekt, die baurechtliche Beratung, fällt nicht in meinen Aufgabenbereich, allerdings ist der gesellschaftsrechtliche Teil bereits zeitausfüllend genug.

Um die Dimensionen grob darzustellen: Im vergangenen Jahr sind zwischen 400 und 500 Verträge und Beschlüsse geschlossen bzw. beschlossen worden. Jeder einzelne Vertrag oder Beschluss ist grundsätzlich mal bei mir über den Tisch gegangen und teilweise auch komplett von mir entworfen worden.

Natürlich ist es nicht so, dass man hunderte Verträge einzeln konzipieren müsste. Oftmals geht es vielmehr um die Erstellung eines Rahmenvertragswerkes, welches dann in mehreren Fällen zur Anwendung kommen kann. Trotzdem füllt diese Arbeit schnell den Tag. Der wirklich zentrale Aspekt dieser Arbeit ist aber neben den Verträgen die Beratung des Unternehmens. Da die angesprochene Problematik zu einer wahren Flut an Anfragen an die Unternehmensgruppe führt, müssen Strukturen vereinfacht werden, um schneller mehrere Projekte zeitgleich umsetzen zu können. Dabei muss die Qualität des einzelnen Projekts aber selbstredend aufrechterhalten werden. Natürlich geht es zudem auch um Wege, die Vielzahl von Projekten zu finanzieren. Entsprechend ist es notwendig, ständig schon mehrere Schritte vorauszudenken und sich mit der Frage zu befassen, welche zukünftigen Umstrukturierungen rechtlich sicher, praktisch durchführbar und vor allem zielführend sind.

Vor- und Nachteile als Unternehmensjurist

Je nach Strickart des betreffenden Juristen verbindet die kontinuierliche Arbeit mit einem Unternehmen einen großen Vorteil mit einem großen Nachteil.

Auf der einen Seite lernt man sehr schnell sehr viel über wirtschaftliche Denkweisen. Man wird gezwungen praktische Entscheidungen zu treffen, man setzt sich sehr konstant mit Nichtjuristen auseinander, die das Unternehmen eher als Sammlung von Zahlen, Menschen oder Gebäuden betrachten. Auf diese Art und Weise erhält man ständige Einblicke in andere Bereiche, die einen sehr viel sensibler für eigene Entscheidungen und Beratungen machen.

Auf der anderen Seite geht es bei einem sich im ständigen Wandel und Wachstum befindlichen Unternehmen gerne und oft auch um Schnelligkeit. Schnelligkeit, die ein gewissenhafter Jurist nicht immer leisten kann oder sollte, teilweise aber doch muss. Viel Zeit für tiefgründige Prüfungen bleibt nicht, es wird daher zur Kunst, ein ausgeprägtes Problembewusstsein zu entwickeln, um kritische Situationen wenigstens zu erkennen und bereits auf potenzielle Probleme hinweisen zu können. Dies gilt sogar dann, wenn man selbst noch gar nicht mit absoluter Sicherheit bestimmen kann, ob etwas am Ende wirklich problematisch ist. Denn auch, wenn man durch seine ständige begleitende und beratende Tätigkeit ein kontinuierliches Bild von den internen Abläufen des Unternehmens hat und auch eine persönliche Motivation zum Erfolg des Unternehmens entwickelt, bleibt das Unternehmen doch Mandantin und muss entsprechend rechtssicher beraten werden.

Die ständige und kontinuierliche Beratung ermöglicht es aber auch, mittelfristig schneller zu arbeiten, als dies mit einmaligen bzw. erstmaligen Mandaten der Fall wäre. Ist ein potenzielles Problem einmal als solches erkannt, kann man bei einer ähnlichen Situation auf bereits Bekanntes verweisen. Man kennt mit fortlaufender Zeit zudem immer mehr Hintergrundprozesse und die möglichen Gefahren innerhalb dieser Prozesse. Ist doch mal etwas unklar, hat man direkte Ansprechpartner, die man mit einem schnellen Anruf innerhalb von fünf Minuten erreicht und sich so Gewissheit verschafft. Umgekehrt ist man auch im Unternehmen zusehends bekannt. Hat man erstmal ein gewisses Problembewusstsein im Unternehmen geschaffen, wird man auch gerne mal von dort aus direkt kontaktiert und befragt. Auf diese Art bleibt einem nur noch wenig unbekannt, die Fehleranfälligkeit sinkt damit im Vergleich zu einmaligen Mandaten, in denen oft die eine richtig gestellte Frage über Wohl und Wehe entscheidet, drastisch. Ergänzend ist hierzu allerdings zu sagen, dass auch die meisten anderen Mandaten der Kanzlei viele Mandate über viele Jahre erteilen. Auch in diesen Fällen entsteht daher meistens ein kontinuierliches Bild der Gesamtsituation und ein Problembewusstsein auch bei den Mandanten selbst.

Wenn ich meine Arbeit in dieser Hinsicht letztlich bewerten sollte, überwiegt daher das Positive. Kontinuierliche und sichtbare Entwicklung des beratenen Unternehmens, Kontakt zu Nichtjuristen, was einem als Jurist meines Erachtens durchaus guttut, ein deutlicher Blick über den Tellerrand und das Entwickeln von Verständnis für wirtschaftliche Prozesse, welches ich selbst vor einem Jahr für unmöglich gehalten hätte. Überhaupt bin ich rückblickend fasziniert davon, wieviel ich in kürzester Zeit lernen musste und gleichzeitig lernen durfte, und wie sich meine Aufgaben verändert haben. Mittlerweile habe ich sogar Einblicke in das Kapitalanlagegesetz genommen, weil es für meine Arbeit erheblich war. Auch die Richtlinien der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sind mir nicht mehr gänzlich unbekannt. Und am Ende, wenn man eine große Aufgabe erfolgreich abgeschlossen hat, fühlt man eine große Zufriedenheit, erneut einen wichtigen Entwicklungsschritt eingeleitet und abgeschlossen zu haben.

Anforderungen an Unternehmensjuristen

Allerdings denke ich auch, dass die enge Arbeit mit einem Unternehmen nicht für jeden geeignet ist. Zum einen gibt es den bisher unerwähnten steuerrechtlichen Aspekt, für den ich zu Beginn praktisch gar kein Bewusstsein hatte und der mir auch nach wie vor am schwersten fällt. Wie man eine Bilanz liest, sollte man lernen. Es handelt sich dabei durchaus um eine Zusatzbildung, eine neue Fähigkeit dessen Erwerb Zeit kostet, dessen Erwerb sich aber auch sehr lohnt (und im Übrigen wenigstens bei gesellschaftsrechtlich tätigen Anwälten ohnehin vorhanden sein sollte). Man sollte auch mathematisch nicht vollkommen ahnungslos sein. Üblicherweise reicht zwar der Dreisatz, hin und wieder sollte es aber schon etwas mehr sein, Prozentrechnungen beispielsweise sollten einem leicht fallen, man nimmt sie nebenbei vor. Da der Teufel sprichwörtlich oft im Detail steckt und das Detail bei den meisten Unternehmen die Zahlen sind, muss man hier bemerken können, wenn etwas nicht stimmt. Denn das hin und wieder etwas nicht stimmt, davon kann man ausgehen.

Zuletzt muss man Selbstbewusstsein haben. Es ist leicht, bei allem nur zu nicken und zu sagen, es würde funktionieren. Ich vermute, die Anfälligkeit für ein solches Verhalten ist relativ hoch, wenn man beginnt, eine eigene Motivation für den Erfolg des Unternehmens zu entwickeln. Gerade für den Erfolg darf man aber keine Scheu davor haben, manchmal das Hindernis zu werden. Nur so bleibt man auch glaubwürdig. Es muss möglich sein, das Telefon in die Hand zu nehmen, jemanden aus dem Vorstand anzurufen und zu sagen, dass es so wie geplant nicht funktioniert und der Zeitplan nicht einzuhalten ist, auch wenn man damit Enttäuschung auslöst oder sogar kleine Konflikte eingeht. Diesen Aspekt muss man sich zutrauen, denn man ist letzten Endes ein Schutzschild vor größeren Problemen.

Fazit

Abschließend kann ich für mich sagen, dass ich meine Arbeit sehr schätze und mit dem Wissen von heute exakt diese Stelle wieder annehmen würde. Und das liegt nicht zuletzt an Dingen, die andere Menschen vielleicht eher abschrecken würden, wie die sehr steile Lernkurve zu Beginn, die sich dafür auch schnell rentiert. Wer also mal in der Situation ist, unter anderem für die enge Zusammenarbeit mit einem Unternehmen interviewt zu werden: Es lohnt sich!

– Richard Mantel, Rechtsanwalt bei HFBP in Giessen