Erfahrungsbericht mit Tipps zur erfolgreichen Kanzleigründung
Der Weg zum eigenen Kanzleischild ist gerade für junge Juristen ein großer Schritt, der mit vielen neuen Herausforderungen und Stolperfallen versehen ist. Der folgende Erfahrungsbericht soll euch ein paar Tipps geben, worauf ihr bei der Gründung eurer eigenen Kanzlei besonders achten solltet.
Warum eine eigene Kanzlei gründen?
Als ersten Schritt solltet ihr euch natürlich im Klaren darüber sein, was die Gründung einer eigenen Kanzlei für euch bedeutet.
Kein anderes juristisches Berufsmodell gewährt euch im Rahmen der Akquise, der etwaigen Spezialisierung sowie der Work-Life-Balance größere Entscheidungsfreiheit als die eigene Kanzlei. Ihr könnt nicht nur den engsten persönlichen Kontakt zu euren Mandanten aufbauen, sondern könnt auch nach eigenem Gutdünken unliebsame Mandate ablehnen (soweit ihr es euch finanziell erlauben könnt). Zusätzlich stehen die erwirtschafteten Gewinne euch allein zu.
Die besonderen Herausforderungen der Selbständigkeit solltet ihr aber hierbei nicht aus den Augen verlieren: Ihr müsst zum Beispiel etwaige Verluste komplett selbst ausgleichen und tragt die alleinige Verantwortung für den Erfolg eures Unternehmens sowie eurer Mitarbeiter. Zudem sind eurer Freiheit auch im Rahmen der eigenen Kanzlei Grenzen gesetzt: Auch hier müsst ihr die gesetzlichen sowie die kammerinternen Regelungen zur branchenübergreifenden Kooperation, zum Marketing, und vor allem zur Vergütung berücksichtigen. Auch solltet ihr das notwendige betriebswirtschaftliche Know How, das ihr zur erfolgreichen Leitung einer eigenen Kanzlei benötigt, nicht unterschätzen. Bereits die Erstellung eines Businessplans stellt viele Juristen vor Schwierigkeiten, vom Einsatz von Legal Tech und den Anforderungen der Digitalisierung ganz zu schweigen.
Noch stärker als im Rahmen einer Anstellung ist also ein Kanzleiinhaber zur steten Fortbildung am Puls der Zeit verpflichtet, um das unternehmerische Risiko so gering wie möglich zu halten. Wer diese Anforderungen bereits zu Beginn unterschätzt, begibt sich schnell an den Rand der eigenen Belastungsgrenze.
Zulassungsanforderungen
Sollte ich euch mit dem vorherigen Abschnitt nicht verschreckt haben: Herzlich Willkommen bei eurem ersten offiziellen Schritt zur eigenen Kanzlei. Im Folgenden gehe ich auf die Minimalvoraussetzungen einer Kanzleigründung ein.
Die erste Hürde, die ihr nehmen müsst, ist die Zulassung bei der für euch regional zuständigen Anwaltskammer. Die genauen Voraussetzungen hierfür findet ihr auf der Internetpräsenz der jeweiligen Kammern. Zunächst müsst ihr die Befähigung zum Richteramt erworben haben und eine abgeschlossene Berufshaftpflichtversicherung vorweisen können. Neben dem Beitrag eurer Haftpflichtversicherung wird auch eine Zulassungsgebühr sowie der Kammerbeitrag fällig. Solange ihr in den ersten Jahren der Selbständigkeit noch keine Gewinne erwirtschaftet, könnt ihr euch nach Rücksprache mit eurer Kammer zumindest vom Mitgliedsbeitrag befreien lassen. Mit der Zulassung werdet ihr zudem automatisch Mitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte, das sich um die Rentenversorgung kümmert. Auch hier könnt ihr euch nach Rücksprache in der ersten Zeit zumindest von einem Teil des Pflichtbeitrages befreien lassen.
Zuletzt müsst ihr sowohl der Kammer als auch dem Finanzamt noch euren zukünftigen Kanzleisitz melden.
Empfohlener Versicherungsschutz
Die obig bereits aufgeführte Berufshaftpflichtversicherung sowie die Sicherstellung der Rentenversorgung über das Versorgungswerk stellen das absolute Minimum des geforderten Versicherungsschutzes dar. Darüber hinaus solltet ihr auf jeden Fall eine Kranken- sowie eine Pflegeversicherung abschließen. Auch der Abschluss einer Krankentagegeld-, Berufs- sowie Erwerbsunfähigkeitsversicherung können zur Abmilderung krankheitsbedingter Verluste sinnvoll sein.
Ob darüber hinaus auch Sachversicherungen oder gar Bürohaftpflichtversicherungen für euch in Betracht kommen, hängt maßgeblich von der im Folgenden besprochenen Ausstattung eurer Kanzlei ab.
Einrichtung eines Kanzleisitzes
Nach erfolgter Zulassung trifft jeden Rechtsanwalt die sogenannte Kanzleipflicht: Das heißt, dass jeder Rechtsanwalt im Bezirk der Kammer, bei der er Mitglied ist, eine Kanzlei einrichten und unterhalten muss.
Im Rahmen der stetig fortschreitenden Digitalisierung steht die tradierte Voraussetzung des Kanzleischildes immer stärker auf dem Prüfstand. Zumindest die Erreichbarkeit der Kanzlei per Telefon, Fax, Email oder beA muss jedoch gewährleistet sein. Abseits einer solchen bloßen Postadresse muss aber auch eine Anlaufstelle für Mandanten geschaffen werden, an der diese euch zumindest stundenweise antreffen können. Hierfür bietet sich z. B. anfangs die stundenweise Anmietung eines Büros bei einem Bürocenter an. Aber auch ein abgetrennter Raum in einer Privatwohnung – die sogenannte Wohnzimmerkanzlei – reicht schon aus.
Einstellung von Mitarbeitern
Soweit ihr, entweder bereits direkt zu Beginn eurer Selbständigkeit oder erst bei steigendem Arbeitspensum, Mitarbeiter einstellen wollt, müsst ihr zunächst eine Betriebsnummer bei der regional zuständigen Arbeitsagentur beantragen. Darüber hinaus sind eure Mitarbeiter sozialversicherungspflichtig sowie im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung anzumelden.
Finanzierung
Die Führung einer Kanzlei unterscheidet sich lediglich marginal von der anderer Unternehmen: Auch hier ist vor allem eine stabile Finanzierung von Nöten.
Da ich auf die Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen eines eigenen Erfahrungsberichtes – Die Kanzleigründung Teil 2: Mögliche (Finanzierungs-)Hilfen – detailliert eingehen werde, soll an dieser Stelle nur kurz auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme staatlicher Finanzierungsprogramme zur Existenzgründung eingegangen werden. Neben dem Einsatz eigenen Kapitals zur Finanzierung kann bei der Arbeitsagentur ein Gründerzuschuss beantragt werden. Abseits hiervon bieten sowohl die gängigen Banken wie auch die staatliche KfW-Förderbank Unternehmerkredite an.
Meine Erfahrung mit dem „Chimären-Modell“
Wem der Sprung ins Eiswasser der eigenen Kanzlei zu Beginn allzu gefährlich erscheint, dem kann ich das „Chimären-Modell“ empfehlen. Je nach Absprache mit eurem Arbeitgeber könnt ihr euch so auch abseits der tradierten Modelle noch selbst einbringen:
So habe ich mich direkt nach dem zweiten Staatsexamen für eine Teilzeitanstellung in einer kleinen Allgemeinkanzlei entschieden, in der ich bereits vor der ersten Staatsprüfung zu arbeiten begonnen hatte. Gleichzeitig habe ich jedoch absprachegemäß die Freiheit erhalten, mich darüber hinaus als Einzelanwältin selbständig zu machen. Angedacht ist hierbei, dass meine Anstellung mit wachsendem eigenem Mandantenstamm immer niedriger ausfällt, bis wir eine reine Bürogemeinschaft bilden. Dies hat den Vorteil, dass meine Lebenserhaltungskosten bereits zu Anfang über die Anstellung getilgt werden und ich somit in der Selbständigkeit das Insolvenzrisiko minimieren kann. Zusätzlich erhalte ich im Rahmen der Anstellung auch die Starthilfe in Form von Ratschlägen und Rückfragemöglichkeiten, die man als Berufsanfänger dringend braucht.
Im Vergleich zur tradierten Kanzleigründung müssen jedoch die zwei Standbeine immer wieder in Einklang gebracht werden, was zumindest zu Anfang einiges an Organisation und Nerven erfordert.
Fazit:
Die Gründung einer eigenen Kanzlei will gut überlegt sein. Ob die Selbständigkeit für euch das Richtige ist, lässt sich grade zu Beginn nicht leicht entscheiden. Es hängt maßgeblich von eurer Persönlichkeit, euren Interesse und eurer (zukünftigen) Lebensplanung ab. Grade wenn ihr aber noch wenig Erfahrung im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit sammeln konntet, oder ihr euch (noch) nicht zu einhundert Prozent entscheiden könnt, kann sich auch die Kombination einer Teilanstellung mit einer Teilselbständigkeit anbieten.
Ich hoffe, dieser Erfahrungsbericht gibt euch einige Tipps, die euch den Weg zur eigenen Kanzlei erleichtern. Ich wünsche euch viel Erfolg für eure zukünftige Selbständigkeit! 😉