Interview mit Rechtsanwältin Vögele zur juristischen Ausbildung & zum Karrierebeginn

Im Oktober 2021 war Rechtsanwältin Linda Vögele von Gibson Dunn im Gespräch mit JurCase und sprach über Gestaltungsmöglichkeiten in der juristischen Ausbildung, ihre Auslandserfahrungen und die Verwaltungsstation an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Außerdem: Was ist ihr „Erfolgsrezept“ zur Vorbereitung auf das Zweite Staatsexamen und mit Blick auf den anwaltlichen Karrierebeginn?

Zur Person

Rechtsanwältin Linda Vögele ist seit August 2020 Associate im Frankfurter Kartellrechtsteam von Gibson, Dunn & Crutcher LLP (Gibson Dunn).

Sie berät Mandanten zu Fragen des europäischen und deutschen Kartellrechts, unter anderem im Zusammenhang mit Fusionskontrollverfahren, Compliance-Fragen, Bußgeld- und Schadensersatzverfahren.

Frau RAin Vögele studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Heidelberg, Münster, Lausanne und Rom. Ihr Referendariat absolvierte sie am LG Tübingen (OLG-Bezirk Stuttgart).

Zum Unternehmen

Gibson Dunn gehört zu den führenden internationalen Kanzleien mit über 1.450 Anwälten an 20 Standorten in neun Ländern.

Beratungsschwerpunkte an den deutschen Standorten München und Frankfurt bilden die Bereiche Compliance, Gesellschaftsrecht, M&A und Private Equity sowie Arbeitsrecht, Bank- und Finanzrecht, Datenschutz, Technology & IP, Kartellrecht, Prozessführung und Schiedsgerichtsbarkeit, Real Estate, Restrukturierung und Insolvenzrecht, Steuerrecht und Wirtschaftsstrafrecht.

In Deutschland beschäftigt Gibson Dunn derzeit ungefähr 50 Berufsträger.

Das Interview

Klingenberg: Liebe Frau Vögele, vielen Dank zunächst, dass Sie sich für dieses Interview bereit erklärt haben. Es soll um die juristische Ausbildung sowie den anwaltlichen Karrierebeginn gehen. Beginnen möchte ich mit Ihren Auslandserfahrungen: ein Semester an der Université de Lausanne und ein Semester an der Università degli Studi di Roma Tre. Wie kam es jeweils dazu?

Rechtsanwältin Linda Vögele: Ich hatte schon in der Schule und während meines Bachelorstudiengangs, den ich vor dem Jurastudium absolviert habe, sehr gute Erfahrung mit Auslandsaufenthalten gemacht. Dementsprechend habe ich mir dann tatsächlich auch bereits zu Beginn des Jurastudiums überlegt, wie ich dieses lange Studium möglichst abwechslungsreich gestalten könnte. Die Lösung lag für mich – neben spannenden Praktika – in Auslandssemestern und einem Uniwechsel für Schwerpunktstudium und Examensvorbereitung. Dabei war mir aber gleichzeitig wichtig, möglichst zügig durchzukommen, eben weil ich zuvor schon einen Bachelorabschluss gemacht hatte.

Nach vier Semestern in Heidelberg bot sich Lausanne als erstes Auslandssemester deshalb an, weil es dort einen deutschen Lehrstuhl gab. Ich konnte dort also ganz normal die große Übung im Zivilrecht machen und ein paar weitere examensrelevante Vorlesungen besuchen. So habe ich mit Blick auf den Freischuss keine Zeit verloren.

Wie geplant bin ich anschließend nach Münster. Das dortige Schwerpunktstudium umfasste relativ viele Klausuren und die Anrechnung von im Ausland erbrachten Leistungen erfolgte im Grundsatz nur unter der Prämisse, dass die Lehrinhalte weitgehend übereinstimmten. Dementsprechend hatte ich mich für den Schwerpunkt Europäisches Wirtschaftsrecht entschieden. So konnte ich europarechtliche Vorlesungen relativ leicht im (europäischen) Ausland absolvieren. Auf Rom konkret fiel die Wahl dann, weil – muss man das wirklich noch weiter begründen?

Klingenberg: Was sind jeweils Ihre schönsten Erinnerungen und würden Sie diesen Weg Auslandserfahrung so nochmals bestreiten? Und was sind Ihrer Meinung nach die größten Vorteile von Auslandserfahrungen für einen deutschen Juristen?

Rechtsanwältin Linda Vögele: Ich persönlich würde keine einzige meiner Auslandsstationen missen wollen. Mich hat jede auf ihre Weise sowohl in persönlicher als auch in professioneller Hinsicht weitergebracht. Ich habe an jedem dieser Orte Freundschaften geschlossen, die bis heute halten, und durch das vielbeschworene Verlassen der eigenen Komfortzone wird man ganz automatisch anpassungsfähiger, offener und auch mutiger. Dazu kommen die Sprachfertigkeiten, die man im Ausland erlernt. All das sind letztlich Fähigkeiten, die mir heute auch in meinem beruflichen Alltag nützlich sind.

Eine meiner liebsten Studienerinnerungen in diesem Zusammenhang war eine Vorlesung, die ich an der Roma Tre besucht habe: „Law and the Humanities“. In dieser Vorlesung haben wir das Recht, das ja grundsätzlich losgelöst von Kultur und Sozialwissenschaften gelehrt wird, durch eine interdisziplinäre Brille betrachtet. Wir haben die Gerechtigkeit in Recht und Prozess in Shakespeares Kaufmann von Venedig erörtert und historisch eingeordnet. Wir haben uns die Geschichte der Menschenrechte im Kontext zeitgenössischer Literatur angesehen und uns mit der HBO-Serie „The Wire“ dem Verständnis von „Gesetz“ im Spannungsfeld von Staat und „Straße“ gewidmet. Das war so radikal anders als jede Jura-Vorlesung die ich bis dahin besucht hatte und unglaublich spannend.

Im Hinblick auf das Examen wurde es mir letztlich durch die vielen Unterbrechungen nie langweilig und die Durststrecke der Examensvorbereitung ließ sich leichter ertragen. Um ehrlich zu sein, konnte ich nach den diversen Ortswechseln der Routine in dieser Zeit so fast auch mal ein bisschen etwas abgewinnen.

Klingenberg: Ihrem Lebenslauf lässt sich neben den Auslandserfahrungen außerdem eine weitere Besonderheit entnehmen: Sie haben Ihre Verwaltungsstation an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer absolviert. Was waren Ihre Beweggründe für die Universität und gegen eine Einzelausbildung an einem Verwaltungsgericht oder in einer Behörde? Wieso lohnt sich dieser eher atypische Weg?

Rechtsanwältin Linda Vögele: Persönlich hat mir die Option Speyer zugesagt, weil ich so noch einen weiteren kleinen Standortwechsel ins Referendariat einbauen konnte. Ich habe den Tapetenwechsel im Lernalltag auf der Zielgeraden zum Examen sehr genossen.

JurCase informiert:
In Baden-Württemberg ist die Verwaltungsstation die vorletzte Station vor den Klausuren.

Ich habe mich aber auch aus examensstrategischen Gründen für Speyer entschieden und würde das auch wieder tun. Man erhält dort nochmal eine geballte Ausbildung im Öffentlichen Recht (aber auch in den anderen Rechtsgebieten des Pflichtfachstoffs), die in diesem Umfang wohl an keiner Stammdienststelle geboten wird. Nachdem ich zum Zweiten Staatsexamen das Bundesland gewechselt habe, war ich insbesondere dafür dankbar, mir das Landesrecht nicht gänzlich selbst beibringen zu müssen – nach Speyer habe ich mich vor allem im Öffentlichen Recht wirklich fit gefühlt.

Klingenberg: Heute sind Sie Rechtsanwältin. Ich gehe deshalb davon aus, dass bei Ihnen die Anwaltsstation einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Viele Referendare nutzen diese Station jedoch – zumindest teilweise – zum sog. Tauchen, um sich intensiver auf die Examensvorbereitung konzentrieren zu können. Damit kürzen sich die Referendare allerdings deren praktische Erfahrungen rund um die anwaltliche Tätigkeit. Nun hat ein Referendar vielleicht aufgrund einer intensiveren Examensvorbereitung eine bessere Examensnote, vielleicht sogar ein Prädikatsexamen, dafür aber weniger Praxis. Ist dies nicht eine erhebliche Schwäche des juristischen Vorbereitungsdienstes? Einige Stimmen sprechen sogar von Wettbewerbsverzerrung. Wie beurteilen Sie das?

Rechtsanwältin Linda Vögele: Dass es viele Stimmen gibt, die den juristischen Vorbereitungsdienst für generalüberholungsbedürftig erachten, ist, denke ich, ein offenes Geheimnis. Solange die Strukturen aber sind, wie sie sind, bringt es Referendar*innen nichts, sich an allem, was daran ungerecht sein mag, aufzureiben.

Vielmehr muss und darf zum Glück ja auch jeder für sich die Abwägung treffen, inwiefern er die zwei Jahre einfach (nur) als möglichst gute Examensvorbereitung nutzen oder aber vielleicht auch andere Ziele verfolgen möchte. Dazu können z. B. die Orientierung hinsichtlich der späteren Berufswahl oder aber unvergessliche Erlebnisse, bspw. im Rahmen einer Auslandsstation, zählen. Für mich war die Balance hier sehr wichtig – auch um meine Motivation aufrechtzuerhalten.

Das Referendariat bietet eine einzigartige Möglichkeit, sich viele verschiedene Berufsbilder anzusehen. Ich halte es definitiv für sinnvoll, sich das anwaltliche Berufsbild jedenfalls einmal so genau anzusehen, dass man zum Berufseinstieg eine informierte Entscheidung treffen kann. Dafür ist der Horizont während eines Praktikums vor dem Ersten Staatsexamen vielleicht noch etwas zu begrenzt. Das gilt umso mehr in Bezug auf solche Rechtsgebiete, mit denen man in Studium und Referendariat vielleicht weniger Berührungspunkte hatte. Ich persönlich wollte zum Berufseinstieg keine allzu großen Experimente mehr wagen. Ich wäre ziemlich ungern im für mich falschen Rechtsgebiet in der für mich falschen Kanzleikultur gelandet. Umgekehrt hat man es vielleicht auch leichter, als Bewerber glaubhaft zu vermitteln, für das Berufsbild und Rechtsgebiet wirklich zu brennen, wenn das auch durch den Lebenslauf abgebildet wird.

Klingenberg: Bleiben wir kurz beim Thema Zweites Staatsexamen. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Rechtsanwältin Linda Vögele: Im Nachhinein wirkt das vielleicht manchmal so, als hätten Juristen*innen, die ihr Referendariat erfolgreich absolviert haben, von Anfang an zielstrebig ihre jeweilige Erfolgsstrategie verfolgt und seien damit dann auch ohne größere Anstrengungen durchs Examen gekommen. Das ist aber, glaube ich, oft ein ziemlicher Trugschluss.  Mein „Erfolgsrezept“ ist deshalb auch mehr als eine Auflistung derjenigen Faktoren zu verstehen, die für mich rückblickend besser als andere funktioniert haben – im Nachhinein ist man bekanntlich immer schlauer.

Erstens hat es mir persönlich definitiv geholfen, mein Warum zu kennen. Ich habe versucht, mich weniger mit der Angst vor einem weniger befriedigenden Ergebnis aufzuhalten und ich wollte ein bestimmtes Ergebnis auch nicht zum Selbstzweck. Ich habe mich stattdessen darauf fokussiert, dass ein ordentliches Ergebnis für mich der Schlüssel dazu war, den Beruf zu ergreifen, von dem ich aus meinen praktischen Erfahrungen wusste, dass er mir Spaß machen würde. Ich habe meine Anwaltsstation in einem unheimlich tollen Team absolviert und letztlich auch genau daraus viel Motivation gezogen.

Zweitens war für mich ein strukturierter Lernalltag elementar, zu dem auch ausreichend Zeit für Alltägliches und Ausgleich gehörte. Zum einen helfen Routinen dabei, innere Widerstände abzubauen. Zum anderen kennen, glaube ich, die meisten Examenskandidaten das stets präsente schlechte Gewissen, wenn man kurz vor dem Examen überhaupt irgendwas anderes tut, als zu lernen. Um dem entgegenzuwirken, waren Pausen und Zeit für Sport in meinem Lernalltag fest verankert.

Als dritte Hauptzutat meines persönlichen „Erfolgsrezepts“ sehe ich meine Lerngruppe. Mit dem Konzept hatte ich schon beim Ersten Staatsexamen gute Erfahrungen gemacht. Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich dafür Menschen sucht, deren Gesellschaft man schätzt, die aber auch zuverlässig und ähnlich motiviert sind, wie man selbst. Dann kann eine Lerngruppe eine angenehme und zugleich wirklich effiziente Alternative vom einsamen Lernen am Schreibtisch sein.

Klingenberg: Wenn Sie auf Ihre juristische Ausbildung zurückblicken, was würden Sie sagen, was hat Ihnen bei der juristischen Ausbildung besonders gut gefallen und wo hätten Sie sich im Nachhinein als Rechtsreferendarin mit Blick auf Ihren Berufseinstieg vielleicht etwas mehr gewünscht?

Rechtsanwältin Linda Vögele: Ich habe gerade im Vergleich zum wesentlich „verschulteren“ Bachelor meine gesamte juristische Ausbildung über den wahnsinnig großen Gestaltungsspielraum zu schätzen gewusst. Es ist so viel Spannendes möglich – man muss sich nur eben selbst darum kümmern.

Die beste Vorbereitung mit Blick auf meinen Berufseinstieg in einer großen Wirtschaftskanzlei war – wenig überraschend – das altbekannte „training on the Job“. Weil ich das (weniger vorausschauend, sondern eher im Nachhinein zum Glück) relativ viel gemacht hatte, ist mir hier, denke ich, vieles leichter gefallen. Der „Anwaltsunterricht“ für die AG war, wenn überhaupt, vielleicht für die Examensklausuren relevant. In meinem ersten Berufsjahr waren es aber gänzlich anderen Themen, die für mich virulent wurden und die ich insgesamt eher unter dem Begriff Soft Skills subsumieren würde. Zeit- und Projektmanagement, gute Kommunikation mit Mandanten, Kollegen und Vorgesetzten, die Trennung zwischen theoretisch und dogmatisch Interessantem von praktisch Relevantem…das waren eher so Themen, mit denen ich mich zum Berufseinstieg konfrontiert gesehen habe.

Man wird im Jurastudium und vor allem im Referendariat sicher weniger an die Hand genommen als bspw. an einer Business School und sollte das darum auch nicht erwarten.  Man hat aber umgekehrt viel Gelegenheit, Ausbildungsangebote – und dazu würde ich rückblickend insbesondere auch Schlüsselqualifikationen zählen – oder aber eben die Stationen im Referendariat für die eigenen Karrierepläne bestmöglich zu nutzen.

Klingenberg: Gibson Dunn nimmt Referendare zur Ausbildung an. Wie gestalten Sie bei Ihnen die juristische Ausbildung? Was ist Ihren Einzelausbildern besonders wichtig, was ist ihnen vielleicht weniger wichtig?

Rechtsanwältin Linda Vögele: In unserem Team binden wir Referendare so gut wie möglich als richtige Teammitglieder ein. Es gibt bei uns kein vorgefertigtes Programm und keinen Referendarstrupp, in dem man halt so mitschwimmt und durch seine Station geschleust wird. Ich als Referendarin hätte an einer Anwaltsstation bei Gibson Dunn den engen Kontakt mit dem Team und auch den direkten Kontakt zu den Partnern geschätzt. Das ist nicht selbstverständlich, führt zu einer steilen Lernkurve und es macht einem die Einschätzung, ob der Job oder vielleicht auch das konkrete Team das Richtige für den eigenen Berufseinstieg wäre, wesentlich leichter. Viele der üblichen Benefits wie z. B. die Übernahme der Kosten für einen Klausurenkurs, für ein Examensvorbereitungsseminar und regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen gibt es bei uns aber natürlich auch!

Aufgrund der engen Einbindung ins Team ist es uns umgekehrt wichtig, dass Referendar*innen Interesse zeigen, motiviert sind und sich aktiv einbringen. Dann macht es, glaube ich, beiden Seiten mehr Spaß.

Aktuell bilden wir rund 15 Referendar*innen im Jahr aus.

Klingenberg: Möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern abschließend noch etwas auf den Weg geben?

Rechtsanwältin Linda Vögele: Das ist, denke ich, dieses Interview über schon mehrfach hinreichend laut angeklungen: Zwar ist der Weg zum/r Volljurist*in ein langer und am Ende steht immer ein Staatsexamen, das es zu bewältigen gilt. Ganz im Sinne des Leitspruchs „Der Weg ist das Ziel“ würde ich aber jeden dazu animieren wollen, nicht immer den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, sondern jede einzelne Etappe an den eigenen Vorlieben und Zielen gemessen so lohnenswert wie möglich zu gestalten. Gerade eine gute Rechtsanwältin/ einen guten Rechtsanwalt macht am Ende weit mehr aus als zwei formal solide Staatsexamen!

Vielen Dank für das Interview.