Herausforderung Berufseinstieg: Zwischen Unsicherheit und Anspruch
Der Start ins Berufsleben als Anwältin, Anwalt oder Unternehmensjurist:in ist eine Phase voller Herausforderungen. Zwar verfügen Sie nach Studium und Referendariat über eine solide juristische Ausbildung, doch in der Praxis sind Sie zunächst ein Neuling.
Mandanten und Vorgesetzte erwarten ein entsprechendes, sicheres Auftreten, Klarheit und Präsenz. Gleichzeitig fehlt es noch an Praxiserfahrung, an Routine im Umgang mit Mandanten und an einem sicheren Gespür für interne Dynamiken.
Besonders in Meetings zeigt sich dieser Widerspruch deutlich: Während erfahrene Kolleg:innen souverän und wortgewandt auftreten, fragen sich Berufseinsteiger:innen oft, ob sie überhaupt schon genug beitragen können.
Das Ergebnis ist häufig Zurückhaltung. Doch Schweigen wird nicht als Bescheidenheit gedeutet, sondern als Unsichtbarkeit – und wer unsichtbar bleibt, erhält selten spannende Projekte oder wird für Karriereschritte vorgeschlagen.
So nutzen Sie Meetings als „Bühne“ für Ihr Know-how und Ihre Persönlichkeit
Verstehen Sie ein Meeting nicht nur als Informationsaustausch, sondern als Positionierungs- und Durchsetzungssituation. In diesen Momenten wird sichtbar, wer Kompetenz zeigt, um als Expert:in wahrgenommen zu werden. Wenn Sie keinen Wortbeitrag leisten, verzichten Sie auf die Chance, von Ihren Vorgesetzten, Kolleg:innen und/oder Mandant:innen in Ihrer Rolle als Anwält:in bzw. Unternehmensjurist:in sowie mit Ihrer Expertise wahrgenommen zu werden.
Gerade in juristischen Teams, in denen häufig mehr Männer als Frauen sitzen, wiederholt sich ein Muster: Männer äußern ihre Sichtweise oft wie selbstverständlich – selbst, wenn vieles bereits gesagt wurde. Junge Juristinnen hingegen schweigen schnell, wenn der Eindruck entsteht, dass sich bereits Gesagtes wiederholen könnte. Doch diese Haltung führt dazu, dass deren Know-how gar nicht sichtbar wird und damit auch nicht von anderen gesehen werden kann.
Fünf Strategien, mit denen Sie in Besprechung überzeugen
Tipp 1: Machen Sie Ihre Sichtbarkeit zur Priorität
Warten Sie nicht darauf, dass andere Ihre Kompetenz erkennen. Bringen Sie sich aktiv ein, auch wenn Sie meinen, noch nicht alles zu wissen. Schon eine präzise Frage oder eine kurze Zusammenfassung zeigt, dass Sie aufmerksam sind und mitdenken.
Besonders am Anfang ist es hilfreich, sich bewusst als Ziel zu setzen, in jedem Meeting mindestens einmal etwas zu sagen. Hierfür ist es hilfreich, das entsprechende Statement usw. bereits vorzubereiten. Berichten Sie bspw. über den Fortgang eines für Ihre Kolleg:innen interessanten Mandates, geben Sie eine Zusammenfassung von Ihrer letzten Fortbildung oder stellen Sie einen informativen Fachartikel vor.
So gut vorbereitet, wird es für Sie leichter, sich äußern, und selbstverständlich, die Hemmschwelle des Schweigens zu überwinden.
Tipp 2: Nutzen Sie Wiederholung als Stärke
Haben Sie keine Angst, Argumente zu wiederholen oder aufzugreifen. Wenn Sie das Gesagte anders als Ihre Vorredner:innen strukturieren, mit Blick auf bestimmte praktische Rechts- oder Sachfragen verständlich formulieren oder juristisch einordnen, entsteht ein Mehrwert. Ihre Perspektive unterscheidet sich automatisch – durch Ihre Sprache, Ihren Fokus und Ihre Erfahrung.
Gegenüber Mandant:innen hilft es oft, bewusst die Rolle der „Übersetzerin“ oder des „Übersetzers“ einzunehmen: Indem Sie komplexe juristische Zusammenhänge in klare Worte fassen, positionieren Sie sich als Brücke zwischen Fachjargon und Praxis. Das wird gerade Nichtjurist:innen sehr geschätzt.
Tipp 3: Wählen Sie den richtigen Moment
Warten Sie nicht zu lange, bis sich eine „perfekte“ Gelegenheit für Ihren Redebeitrag ergibt. Beobachten Sie die Diskussion und steigen Sie direkt nach dem Ende eines Gedankens ein. Wer Pausen nutzt, wird gehört. Wer schweigt, riskiert, am Ende gar nicht zu Wort gekommen zu sein.
Trainieren Sie diese Fähigkeit bewusst: Achten Sie in Meetings darauf, wann die jeweiligen Redner:innen kurz Luft holen oder ihre Stimme senken – genau das ist der Moment „für Ihren Einsatz“. Je öfter Sie das üben, desto leichter fällt es Ihnen, den passenden Moment zu ergreifen.
Tipp 4: Reagieren Sie souverän, wenn andere Ihre Ideen übernehmen
Wenn ein Kollege Ihren Gedanken wiederholt und dafür Anerkennung erhält, nutzen Sie das bewusst für Ihre Sichtbarkeit: „Vielen Dank, dass Sie meinen Punkt aufgenommen haben. Ergänzend füge ich noch hinzu …“.
So wahren Sie Ihre Position und bleiben professionell. Sie zeigen, dass Sie selbstbewusst den Ball aufnehmen, ohne in einen Rechtfertigungsmodus zu geraten. Auf diese Weise sichern Sie sich die Anerkennung für Ihre Idee und bauen zugleich Ihre inhaltliche Position weiter aus.
Tipp 5: Sprechen Sie klar und ohne Relativierungen
Juristische Ausbildung trainiert Präzision, doch im Meeting zählt Verständlichkeit und Klarheit. Vermeiden Sie daher lange Vorreden, Entschuldigungen oder Weichmacher.
Typische Formulierungen, die Sie vermeiden sollten:
- Lange Vorrede: „Also, ich weiß nicht, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt ist, aber ich wollte vielleicht mal ganz kurz noch etwas dazu sagen …“
- Entschuldigung: „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich dazwischengehe, vielleicht habe ich auch etwas falsch verstanden, aber …“
- Weichspüler: „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber vielleicht könnte man eventuell auch überlegen, ob …“
Wer direkt formuliert, wird ernst genommen – und als kompetente Stimme wahrgenommen. Machen Sie es sich zur Gewohnheit, Ihre Aussagen, wenn möglich, kurz und prägnant zu formulieren. Denn dann kommen Sie sicher und souverän rüber, auch ohne jahrelange Erfahrung.
Ihre Stimme zählt
Gerade in den ersten Berufsjahren ist es entscheidend, in Besprechungen mit Mandant:innen oder im Team auch durch eigene Redebeiträge sichtbar zu sein. Nutzen Sie Meetings bewusst als Ihre Bühne, bringen Sie Ihre eigene Perspektive und Ihr Know-how ein. Machen Sie auf diese Weise deutlich, dass Sie mehr sind als eine unauffällige Randfigur.
Indem Sie Ihre Expertise sichtbar machen, stärken Sie Ihre Position, gewinnen an Profil im Team und legen den Grundstein für Ihre weitere Karriere.
Über die Autorin:
Dr. Anja Schäfer ist Anwältin sowie Expertin für Personal Branding, Networking und Female Leadership in Kanzleien. Als Karriere-Coach unterstützt sie Jurist:innen dabei, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen, ihr Netzwerk strategisch aufzubauen und ihre Karriere bewusst zu gestalten. Mehr Tipps gibt sie im „Juristinnen machen Karriere! – Podcast“ und im kostenlosen Karriere-Erfolgsfahrplan für Jurist:innen.
Rechtsanwältin Dr. Anja Schäfer hat für JurCase Jobs bereits eine Vielzahl interessanter und informativer Beiträge zu den Themen Networking und Personal Branding verfasst. Diese und eine Übersicht ihrer Events findest du hier.