Legal Futurist – kein klassischer juristischer Karriereweg

In diesem Interview sprach Legal Futurist Dr. jur. Abir Haddad im September 2021 mit unserem Redaktionsleiter Sebastian M. Klingenberg über ihre Arbeit als Beraterin bei der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) – und auch über Voraussetzungen für junge Juristinnen und Juristen sowie Rechtsreferendarinnen und -referendare bei der UNFCCC, das Netzwerk multikultureller Juristinnen und Juristen, wo sie als Initiatorin und Mit-Gründerin fungiert, ihre Work-Life-Balance, das Thema Soft Skills und ihre Promotion.

Zur Person

Dr. jur. Abir Haddad ist Legal Futurist, UN-Klimasekretariat Initiatorin und Co-Vorsitzende des Netzwerks für multikulturelle Juristinnen und Juristen. Sie hat an der Universität zu Tübingen studiert und an der Universität zu Köln am Institut für internationales Privatrecht promoviert. Für ihre Forschung absolvierte sie Forschungsaufenthalte in Sharjah (UAE), London (GB), Manama (Bahrain) und Fukuoka (Japan). Ihr Referendariat absolvierte sie am LG Bonn und mitunter am Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und in der Rechtsabteilung des UNFCCC.

Im Bereich islamisches und arabisches Recht sowie Islamic Finance gehört sie mittlerweile zu den Experten. Sie ist Lehrbeauftragte der juristischen Fakultät der Universität zu Köln für das moderne Recht arabischer Staaten. Bei UNFCC berät sie das Projekt Resilience Frontiers in der Entwicklung klimafördernder Gesetzgebung für die Zukunft.

Dr. jur. Abir Haddad ist zudem für den „Young Global Leaders Class 2022“ von World Economy Forum nominiert.

Das Interview

Klingenberg: Abir, Du hast einen bemerkenswerten Lebenslauf. Aktuell bist Du Beraterin bei der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC), also der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, und zwar für die Resilience Frontiers Initiative. Wie kam es dazu, dass Du dort Deine Karriere begonnen hast?

Dr. Abir Haddad: Ob meine Karriere da begonnen hat, kann ich so nicht sagen. Es ist eher ein neuer Weg, der sich von der akademischen Laufbahn und meiner bisherigen Laufbahn unterscheidet. Ich habe jedenfalls nicht die Absicht eine Karriereleiter hochzusteigen, sondern bin offen für das, was sich in dem Moment richtig anfühlt. Jedenfalls war die UNFCCC schon länger ein Traum und ich bin unglaublich froh diese Chance bekommen zu haben.

Klingenberg: Wie genau sieht Deine Tätigkeit bei der UNFCCC aus und inwieweit ist diese Tätigkeit juristisch geprägt?

Dr. Abir Haddad: Meine Tätigkeit ist unglaublich spannend und vielseitig. Ich kann meine Liebe zur Innovation und Kreativität und zu anderen Rechtsordnungen mit der wissenschaftlichen Genauigkeit und Methodik kombinieren. Bei Resilience Frontiers arbeite ich daran, Alternativen zur jetzigen Gesetzgebung zu entwickeln, die uns zur Erreichung der SDGs verhelfen soll [Anmerkung d. Redaktion: SDG = Sustainable Development Goals]. Dazu nutze ich die Rechtsvergleichung mit Ansätzen aus ‚Futurism‘ und ‚Moonshot Thinking‘. Das heißt klassische juristische Methodik gepaart mit innovativen Ansätzen aus Silicon Valley. Also ja, sehr juristisch, aber nicht im konventionellen Sinne.

Klingenberg: Welche Voraussetzungen sollte ein junger Jurist erfüllen, wenn er für die UNFCCC tätig werden möchte? Werden diese Anforderungen auch an die Bewerbung eines Rechtsreferendars für seine Einzelausbildung gestellt?

Dr. Abir Haddad: Grundsätzlich sind sehr gute Englischkenntnisse notwendig und die Fähigkeit mit Menschen aus anderen Kulturen auf Augenhöhe zu kommunizieren. Auch eine gewisse Flexibilität und das Loslösen von der Präzision des deutschen Rechts ist manchmal gefragt. Des Weiteren kommt es auf Folgendes an: Sollte ein:e Jurist:in in der Rechtsabteilung arbeiten wollen, dann ist tatsächlich die Liebe zum Detail und eine, aus meiner Sicht, sehr hohe Belastbarkeit von Vorteil. In Zeiten von Verhandlungen kann es unglaublich intensiv werden, weil viele Parteien zufriedengestellt werden müssen.

Bei Rechtsreferendaren wird eher darauf geachtet, dass sie einen gewissen Bezug zu ‚Climate Change‘ haben und/oder zumindest zum Völkerrecht. In meiner Wahlstation durfte ich direkt in der Anfangsphase des Compliance Committee of the Kyoto Protocol mitwirken und auch viel einbringen.

Klingenberg: Wieso hast Du Dich letztlich gegen eine anwaltliche Karriere entschieden?

Dr. Abir Haddad: Für mich war schon im Studium klar, dass ich keinen klassischen juristischen Beruf ausüben werde. Die anwaltliche Tätigkeit kann sehr vielfältig sein, ist aber auch innerhalb bestimmter Strukturen eingebettet. Indes genieße ich die Lehre und Wissenschaft und die Arbeit bei internationalen Organisationen sehr.

Klingenberg: Neben Deiner Tätigkeit als Beraterin für die UNFCCC bist Du Initiatorin und Mit-Gründerin des Netzwerks multikultureller Juristinnen und Juristen. Welche Ziele verfolgt dieser Verein?

Dr. Abir Haddad: Mit dem Verein bieten wir multikulturellen Juristinnen und Juristen – also solchen, die sich auch in anderen Kulturen beheimatet fühlen – eine Plattform sich zu vernetzen und miteinander auszutauschen. Mein Ziel dabei ist ein Umdenken sowohl in den Köpfen der multikulturellen Juristinnen und Juristen als auch der juristischen Arbeitgeber zu bewirken und zwar dahingehend, dass die Migrationsgeschichte eher eine Stärke ist als wie bisher wahrgenommen ein Nachteil.

Wir wollen unsere Mitglieder empowern und ihre Stärken betonen und hervorheben, gerade die verschiedenen Sprachen, die Flexibilität und die Fähigkeit in internationalen Teams zu arbeiten. Dafür habe ich das Glück Elif Wang als Co-Vorstandsvorsitzende an meiner Seite zu haben und ein unglaublich diverses Team von engagierten und spannenden Juristinnen und Juristen.

Klingenberg: Auch jenseits Deiner professionellen Karriere bist Du besonders engagiert. Du bist etwa Speakerin und Trainerin für Zeitmanagement und das Netzwerken. Erzähle uns ein wenig davon. Und wieso ist Dir ein solches Engagement so wichtig?

Dr. Abir Haddad: Es ist und war mir schon immer sehr wichtig mich zu engagieren und andere Menschen zu unterstützen. Im Laufe der Zeit haben sich für mich einige Tools herauskristallisiert, die mir effektiv geholfen haben, meinen eigenen Weg zu gehen. Diese habe ich irgendwann angefangen zu teilen und daraus sind Workshops und Keynotes entstanden. Ich habe mitunter meinen eignen Kalender entwickelt, der genau auf die Bedürfnisse solcher vielseitigen Menschen angepasst ist – dieser Workshop hat so manchen Teilnehmenden bei der Neuorientierung in seinem Leben geholfen. Mittlerweile werde ich von Stiftungen und Vereinen eingeladen, um auch über meine Erfahrungen und Learnings zu sprechen; das macht mir natürlich großen Spaß, wenn ich Jüngere motivieren und inspirieren kann.

Klingenberg: Das ist wahrlich beeindruckend. Nimmt dies insgesamt aber nicht viel Zeit in Anspruch? Würdest Du sagen, Du hast eine gesunde Work-Life-Balance?

Dr. Abir Haddad: Ich habe eine sehr gute Work-Life Balance, sonst könnte ich es anderen nicht weitergeben. Ich habe meine Prioritäten und gehe keine Kompromisse ein. Dazu habe ich feste Rituale, wie Meditation und Affirmation am Morgen und Journaling täglich. Einmal oder zweimal im Jahr muss ich eine Reise alleine machen, in der ich abgeschieden versuche, zu mir zu finden. Zeit mit Familie und Freunden ist heilig. Ich bin die älteste von 8 Geschwistern, da habe ich viel zu tun. Ich tanze viel und unterrichte Tanz, um auch meine Freude am Spielen nicht zu verlieren.

Klingenberg: Du bist sicherlich sehr belastbar, eine Eigenschaft, die vor allem unter Juristen sehr geschätzt wird. Was meinst Du, auf welche – vielleicht auch weniger offensichtliche – Eigenschaften kommt es sonst noch so an in der juristischen Karriere? Und wie sieht es mit etwaigen Soft Skills aus?

Dr. Abir Haddad: Ich glaube bei Juristinnen und Juristen ist eine sehr hohe Frustrationsgrenze bzw. das Durchhaltevermögen besonders wichtig. Was andere nach einiger Zeit aufgeben würden, weil es langwierig oder langweilig ist, wurden wir gelehrt durchzuhalten und durchzuziehen bis zum bitteren Ende. Leider hat es manchmal auch seine Nachteile. Dadurch sind wir auch weniger flexibel als andere Disziplinen. Außerdem ist bei uns die Sprache das wichtigste Instrument. Schade finde ich aber, wenn wir die Sprache exklusiv verwenden. Wir sollten es machen wie die Mediziner: Unter sich benutzen sie lateinische Begriffe und dem Patienten erklären sie es einfach. Das sollten wir übernehmen.

Klingenberg: Abir, Du brillierst aber nicht nur mit verschiedenen Soft Skills, sondern auch mit einer Summa Cum Laude Dissertation. Erzähle uns ein wenig von Deiner Promotion. Welche Hürden hattest Du dabei zu bewältigen, und welche Ratschläge würdest Du einem Promovenden geben, der gerade ähnliche Herausforderungen zu bewältigen hat?

Dr. Abir Haddad: Ich war ein spezieller Fall und meine Promotionszeit war alles andere als „normal“, da mein Doktorvater erkrankt war, mich deshalb nicht betreuen konnte und es sehr schwierig wurde, mit ihm zu kommunizieren und ich mitten in der Promotion eine andere Betreuung suchen musste. Außerdem habe ich mir durch die Rechtsvergleichung ein internationales Thema gewählt, wodurch ich auch reisen konnte und in andere Rechtsordnungen eintauchen konnte.

Was ich Promovenden mitgeben kann: Promoviert nur um der Tätigkeit Willen, nicht um des Titels Willen. Das ist es definitiv nicht wert. Sucht Euch ein Thema, wofür Ihr brennt und dann den Betreuer oder die Betreuerin, die es wert sind Euch zu begleiten.

Klingenberg: Was war das Highlight deiner Promotionszeit?

Dr. Abir Haddad: Ich habe an der University of Sharjah an der Sharia Fakultät vor dem gesamten Kader der Fakultät – nur männliche Professoren – einen Vortrag über den Zwischenstand meiner Forschung gehalten. Weil derjenige, der es übersetzen sollte mir klar signalisiert hat, dass er mich nicht unterstützen wird, habe ich mich kurzerhand entschieden den Vortrag selbst auf hocharabisch zu halten. D.h. ich hatte auf Deutsch geforscht und gearbeitet, die Präsentation auf Englisch vorbereitet und den Vortrag selbst aber auf hocharabisch – also nicht in meinem Dialekt – gehalten. Ich wurde von den jungen Professoren nach allen Regeln der Kunst fertig gemacht, habe aber meinen Mut gefasst und Gegenargumente gebracht.  Daraus entfachte eine sehr gute Diskussion, die meine Forschung nachhaltig verändert hat. Viel Unterstützung hingegen erhielt ich von Seiten der älteren Professoren, die meine präzise Herangehensweise sehr schätzten.

Klingenberg: Dieses Interview abschließend, welchen Ratschlag bzw. welche Ratschläge würdest Du jungen Referendaren geben, sowohl für deren Ausbildung als auch für deren Karrierestart?

Dr. Abir Haddad: Sei nicht so streng zu Dir selbst. In der Retrospektive wirst du sowieso stolz auf dich sein, egal in welchem Tempo du gehst.

Vielen Dank für das Interview!